Konferenz: Kreativer Widerstand
Orientalisches Seminar, Universität zu Köln
27.-29. März 2014
Vom 27.-29. März 2014 fand an der Universität Köln eine internationale Konferenz zum Thema "Kreativer Widerstand: Politischer Humor in den arabischen Aufständen statt. Veranstaltet und organisiert vom Orientalischen Seminar unter der Leitung von Prof. Dr. Sabine Damir-Geilsdorf unter Mithilfe von Dr. Huda Zein, Dr. Stephan Milich und Fabian Heerbaart sowie gefördert durch die Fritz-Thyssen-Stiftung, waren WissenschaftlerInnen, KünstlerInnen und AktivistInnen aus Ägypten, Libanon, Syrien, Tunesien, England, Irak und Deutschland eingeladen, um aktuelle Formen und Varianten des politischen Humors in den arabischen Gesellschaften im Umbruch zu diskutieren.
Nach der Eröffnung und Einführungsrede durch die Gastgeberin Frau Prof. Dr. Sabine Damir-Geilsdorf am Donnerstagabend betonte der irakische, in London lebende Satiriker, Schriftsteller, Journalist und Maler Khalid Kishtainy im gefüllten Hörsaal in seinem Eröffnungsvortrag „Humour as Weapon in Civilian Jihad“ die nicht zu unterschätzende Bedeutung des Humors für den zivilen Widerstand. Da politische Witze ohne Copyright seien und die Autoren bzw. Erfinder des Witzes nicht mehr aufgespürt werden könnten, eigne sich der politische Witz besonders gut, auf eine gewaltfreie Weise politische Kritik zu üben. Eine dritte Eigenschaft, nämlich die unkontrollierbare Adaption von Witzen an neue Kontexte, mache Witze sogar zu einer "reisenden Waffe" der Sozialkritik. So erzählte Kishtainy einen Witz über Gamal Abdel Nasser, den ein deutscher Journalist in seinem Sendebeitrag in Deutschlandfunk Kulturzeit über die Konferenz auf die heutige Situation in Ägypten bezog und in den Mund des dortigen Präsidentschaftskandidaten Sisi legte - ganz im Sinne des Verfechters des politischen Humors Kishtainy.
Der erste Panel mit dem Titel „Testimonies of Artists and Activists“ am Freitagvormittag war zwei ägyptischen und zwei syrischen Künstlern/Aktivisten gewidmet, die die unterschiedlichen Funktionsweisen von politischem Humor in ihrem eigenen Schaffen und im größeren Kontext ihrer Gesellschaften reflektierten. Mohamed Anwar, der zunächst eine kleine Geschichte der politischen Karikatur in Ägypten referierte, zeichnete im Anschluss daran anhand seiner eigenen Karikaturen die emotionale, künstlerische und konzeptionelle Entwicklung nach, die er seit dem Ausbruch der Revolution im Januar 2011 durchlaufen hatte.
Seine Kollegin Doaa El Adl, derzeit die bekannteste Karikaturistin in Ägypten, zeigte ebenfalls anhand ihres eigenen Schaffens auf, welch Balanceakt politischen Zeichnern im derzeitigen Ägypten abverlangt wird. Zwischen den beiden Optionen Muslimbrüder und Militär eingekeilt, brachte sie immer wieder in starken Bildern visuell und sprachlich zum Ausdruck, in welch komplexen Strukturen und Produktionsbedingungen politisch agierende Künstler eingebunden sind.
Die beiden folgenden Vorträge zum politischen Humor in Syrien eröffneten ausgezeichnete Möglichkeiten des Vergleichs. Mit der Handpuppenfigur „Beeshu“ und einer gehörigen Dosis schwarzem Humor spielt das Künstlerkollektiv Masasat Mati (Mateteetrinkstäbchen) seit längerem das Leben eines Superschlägers und Diktators nach, der sein eigenes Volk ermordet. Im Kontext Syrien ist Humor aber nicht nur eine wichtige Waffe im Kampf gegen die Diktatur, sondern auch um die eigene Menschlichkeit zu retten und die Hoffnung nicht ganz zu verlieren.
Eine entgegengesetzte Position vertrat die in der Kölner Orientalistik arbeitende syrische Soziologin und Arabischlektorin Huda Zein, die angesichts der humanitären Katastrophe, die vor allem Schmerz, Verzweiflung und Grauen für die Syrer bedeute, derzeit Humor als kein primäres Anliegen bezeichnete.
Politische Kunst in Syrien war auch Thema des Nachmittagspanels „The Power of the Image: Between breaking Taboos and documenting the revolution“. Larissa Bender stellte Entstehung, Verlauf und derzeitige Situation der zu Weltruhm gelangten syrischen Plakatzeichner der Stadt Kafranbel vor, die sich trotz heftiger Angriffe von Seiten der Regierungsarmee nicht in ihrem Künstleraktivismus entmutigen ließen und weiterhin jeden Freitag im Internet ein neues Plakat der Weltöffentlichkeit vorstellten.
Dieses Fallbeispiel wurde ergänzt durch Sabine Damir-Geilsdorfs Vortrag über die zahlreichen Satiren und parodistischen Angriffe auf Baschar al-Asad in Internetforen, Youtube-Videos und anderen social media, in denen er mit allen Mitteln des politischen Humors bekämpft wird.
Die Berliner Arabistin, Kuratorin und Comicexpertin Anna Gabai zeigte die aktuellen Entwicklungen in der palästinensischen Comic-, Graffiti- und Karikaturenszene auf, auf deren bereits vorhandenes Repertoire politischer Kunstpraxis KünstlerInnen der arabischen Aufstände in Ägypten, Tunesien und anderen Ländern zurückgriffen. Insbesondere in der Praxis und in arabischen Gesellschaften zunehmenden Tendenz, einerseits in Kollektiven künstlerisch tätig zu sein und sich andererseits globaler politischer Ausdrucksformen zu bedienen, gelten palästinensische Karikaturisten, Sprayer und Comiczeichner als wegbereitend.
Am Samstagmorgen eröffnete Randa Aboubakr, Professorin für Anglistik und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Kairo, mit ihrem Vortrag über karnevaleske Formen politischen Humors im revolutionären Ägypten das Panel „Reality as Fiction: Comedy, Literature, Theater, Film“. Sie zeigte auf, wie sich seit 2011 neue, an Michael Bachtin’s Konzept des Karnevalesken anlehnende Aktions- und Kunstformen entwickelt haben, anhand derer soziale und politische Hierarchien in Frage und/oder auf den Kopf gestellt würden. Einen Blick hinter die Kulissen von Bassem Youssef’s „Al-Barnameg“, der erfolgreichsten arabischen Comic- und Fernsehshow aller Zeiten, warf die Kölner Journalistin und Nahostkennerin Martina Sabra, die nicht nur die bisherige Entwicklung sowie die finanziellen und politischen der bisher drei Mal den Sender wechselnden Comedy-Show darstellte, sondern auch beispielhaft eine fundierte Medienanalyse zweier Teile von Al-Barnameg lieferte.
Als einflussreich und politisch wie räumlich umkämpft haben sich neu entstandene Formen der Street Art und des Graffito in Downtown Kairo erwiesen, die vom Kölner Nahostwissenschaftler Fabian Heerbaart in den Blick genommen wurden. Er fokussierte auf Techniken und Funktionsweisen zeitgenössischer Wandgemälde und Street Art, welche die Interaktion mit dem Betrachter suchten und sich bewusst neuer digitaler Medien bedienten, um Reichweite und Einfluss in öffentlichen Diskurses zu gewinnen bzw. zu verstärken.
Der Szene des politischen Humors in Tunesien widmete sich Nathanael Mannone, der in seinem materialreichen Vortrag bestimmte Eigenschaften von im öffentlichen Raum dargestellten und im Internet zirkulierenden Beispielen politischer Satire analysierte. Dabei zeigte er anschaulich, wie neben der Funktion, den schwierigen Alltag zu meistern, Humor auch elementarer Bestandteil von Kunst geworden ist, die das Nachdenken über das eigene politische Verhalten und Denken herausfordert und so zur Etablierung einer neuen demokratischen Kultur beiträgt.
Lisa Franke stellte im Anschluss daran die Bedeutung der ägyptischen Dialektdichtung für den politischen Widerstand gegen autoritäre Herrschaftsformen und Korruption heraus. Sie konzentrierte sich auf die nach den beiden ‚Rebellen‘ des politischen Lieds, Ahmed Fuad Nagm und Scheich Imam, folgenden Generationen ägyptischer Dialektdichter, die in der nicht-arabischen wissenschaftlichen Forschung trotz erheblicher gesellschaftlicher und kultureller Relevanz weiterhin unbeachtet bleiben.
Im letzten Vortrag der Konferenz zeigte schließlich Stephan Milich anhand der Figur des Diktators und des Soldaten auf, wie politische Satire, Parodie und humoristische Verunglimpfung in Literatur/Dichtung und Fotografie – beeinflusst von den jeweiligen soziopolitischen und kulturellen Bedingungen – zwischen karnevalesken und grotesken Formen des Humors oszillieren, und dabei ihre eigenen Produktionsbedingungen und die Möglichkeiten humoristischen Ausdrucks kritisch mitreflektieren.
Insbesondere durch die Präsenz der syrischen und ägyptischen Künstler, die sich zudem als politische Aktivisten betrachten und ihren je eigenen künstlerischen wie persönlichen Standpunkt vorstellten, gewannen die wissenschaftlichen Diskussionen an Praxisbezug, Tiefenschärfe und Authentizität. Dies ermöglichte eine präzisere und realitätsnahe Befragung und Diskussion der im Mittelpunkt stehenden wissenschaftlichen Fragestellungen. Auch die dadurch gegebene Möglichkeit, die verschiedenen, im Blickpunkt stehenden Länder und die dort vorherrschenden künstlerischen Ausdrucksformen zu vergleichen, stellte sich als äußerst erkenntnisgewinnend heraus.
Die internationale Konferenz „Kreativer Widerstand“ darf aufgrund der ausgezeichneten Vorträge, bereichernden Diskussionen und hohen Besucherzahl als großer Erfolg gewertet werden. Zahlreiche Zuhörer aus Köln und anderen Städten (so z. B. aus Wien, München, Zürich, Erlangen, Paris) werteten ihre Teilnahme gegenüber den Organisatoren als sehr bereichernd.
In der Abschlussdiskussion wurden die wichtigsten Diskussionspunkte aufgegriffen. Ein Sammelband zum Thema „Politischer Humor in den zeitgenössischen arabischen Gesellschaften“ würde eine Forschungslücke schließen und den vielen NachwuchswissenschaftlerInnen, die gerade zu diesem Themenkomplex ihre Abschlussarbeiten bzw. Promotion verfassen, wichtige Orientierung, Impulse und Vergleichsfolien bieten. Dass bisher lediglich zwei wissenschaftliche Bücher zum Thema „Arabischer politischer Humor“ in europäischen Sprachen existieren, und eines davon sich schwerpunktmäßig mit den vormodernen arabisch-islamischen Gesellschaften beschäftigt, ist angesichts der herausragenden Bedeutung des Humors sowohl in der Alltagspraxis als auch in Gesellschaft und Politik des Nahen Ostens und Nordafrikas eine bedauerliche Lücke, die es zu füllen gilt.
Veranstaltungsprogramm als pdf-Download
Medienspiegel
Beitrag von Kersten Knipp in Deutschlandfunk Kulturzeit
Artikel in al-Sharq al-Awsat