Workshop im Rautenstrauch-Joest Museum "Back to the Future: Zukunftswerkstatt syrisches Kulturerbe"
Workshop für Syrer*innen
Unterschiedliche Sichtweisen auf syrisches Kulturerbe sollten hör- und sichtbar gemacht werden. Im Zentrum stand die Frage: Wie können positive Werte für ein zukünftiges Syrien aus der Vergangenheit abgeleitet werden? Lässt sich ein für den syrischen Kontext geeigneter Begriff von negativem Kulturerbe entwickeln, der positive Impulse für eine syrische kulturelle Identität entfalten könnte?
Ein Workshop von Housamedden Darwish & Stephan Milich.
"سوريا ضد النسيان" Syrien – Gegen das Vergessen
Am 23. und 24. August 2022 fand im Rahmen der Ausstellung „Syrien – Gegen das Vergessen“ ein Workshop für Syrerinnen und Syrer zum Thema syrisches Kulturerbe statt. Etwa syrische 20 Teilnehmende aus Deutschland und einigen benachbarten Ländern diskutierten zwei Tage auf Arabisch über die Vielfalt der syrischen Gesellschaft und ihres kulturellen Erbes, aber auch über die problematischen Aspekte im Umgang mit syrischem Kulturerbe in der Vergangenheit und Gegenwart. Dabei wurden mitunter auch kontroverse, schmerzhafte und schwierige Aspekte dieses Themenfeldes angesprochen, wie zum Beispiel der Umstand, dass viele Syrer*innen aufgrund der repressiven nationalistischen Politik des Baath-Regimes oft nur wenig über andere kulturelle, ethnische oder religiöse Gruppen ihrer Gesellschaft wussten und noch wissen. Auch die Unterdrückung der kurdischen Sprache oder die autoritäre und Kulturerbe instrumentalisierende Politik der staatlichen Behörden wurde zur Sprache gebracht. In insgesamt 12 Präsentationen stellten Vortragende jeweils ein Beispiel oder einen Bereich des syrischen Kulturerbes vor, der ihnen besonders am Herzen liegt. Dadurch wurden die Vielfalt und der Reichtum des kulturellen Erbes in Syrien eindrucksvoll vor Augen geführt. Nach kurzen Eröffnungsvorträgen, die das Thema umrissen und erste wichtige Fragen aufwarfen, führte der Kurator die Teilnehmenden zunächst durch die Ausstellung „Syrien – Gegen das Vergessen“. Anschließend fand eine etwa einstündige Diskussion statt, in der das Konzept der Ausstellung und einzelne Aspekte diskutiert wurden.
Bericht auf Deutsch
Der zweite Tag bestand dann in insgesamt 12 kurzen Präsentationen, anschließenden Diskussionen und zwei gesonderten Diskussionsrunden, die das Verhältnis von positivem und negativem Erbe diskutierten sowie Möglichkeiten eines besseren Umgangs mit der kulturellen Vielfalt und bisherigen (staatlich gelenkten) Hierarchisierung des syrischen Kulturerbes. In den Präsentationen angesprochen wurden so unterschiedliche Themen wie „Hochzeitsriten im Hauran“, „Die Kultur der Gastfreundschaft im Jabal al-Arab“, „Die kulturelle Vielfalt auf den Golanhöhen“, „Mein Maalula“, „Die arabische Sprache und Literatur“, „Die Vermittlung eines problematischen Geschichtsbildes durch syrische Serien“, aber auch die Zerstörungen antiker Stätten durch unterschiedliche Akteure sowie die Marginalisierung kurdischer Kultur und die Kulturerbe-Politik der EU und Deutschlands in Bezug auf Syrien. Zudem wurden Themen vorgestellt, die bislang überhaupt nicht im Zentrum von Kulturerbe-Debatten standen, aber dennoch hierzu gezählt werden können, wie beispielsweise ehrenamtliches bzw. freiwilliges Bürger*innen-Engagement am Beispiel der Stadt Salamiyya oder eine kritische Betrachtung des Liedguts (v.a. Hochzeitslieder), die aus einer Gender-Perspektive analysiert und deren Wortlaut von der Vortragenden (im Rahmen einer aktiven Arbeitsgruppe) künstlerisch verändert worden war, um problematische Wörter und Ausdrücke durch nicht-diskriminierende zu ersetzen. Die Vortragende gab auch singend einige Beispiele zum Besten. So war nicht alles nur ernst, sondern auch lustig ((الجد والهزل, und es wurde gesungen und gelacht.
In dem Workshop ging es dabei nicht nur um akademische Wissensvermittlung und Diskussionen, sondern bewusst auch um persönliche Annäherungen an das Thema Kulturerbe. Einige Teilnehmende sind Expert*innen auf ihrem Gebiet, so z. B. in der Archäologie oder Geschichte, andere Teilnehmende hatten einen im positiven Sinn eher laienhaften Bezug auf der Grundlage ihrer persönlichen Erfahrungen zum Thema. Dieser persönlichere Bezug ist in einem Land wie Syrien, in dem in der Regel stets von oben diktiert wurde, was syrisches Kulturerbe ist und wie es zu verstehen sei, besonders wichtig und wertvoll. So ist zu wünschen, dass in einem zukünftigen Syrien Kulturerbe nicht nur für den Staat ist und vom Staat kontrolliert und manipuliert wird, sondern dass die syrischen Bürger*innen und Bürger mehr Gestaltungsmacht in diesem für die kulturelle Identität so essentiellen Bereich gewinnen.
So wurden sehr unterschiedliche Sichtweisen auf syrisches Kulturerbe hör- und sichtbar gemacht. Und dennoch wurde immer wieder das Gemeinsame und Geteilte in der Geschichte und Gegenwart dieses kulturell so reichen Landes betont und auch deutlich. In einer intensiven und inspirierenden Abschlussdiskussion äußerten die Teilnehmenden positive Werte für ein zukünftiges Kulturerbe Syriens, ohne dabei zu vergessen, wie wichtig ein (selbst-)kritischer Zugang zur eigenen Vergangenheit ist. Hierzu gehört auch, geschehenes Unrecht anzuerkennen und in seiner Komplexität besser verstehen zu lernen. Wie das Verhältnis von positivem und negativem Erbe neu formuliert werden kann, war deshalb ein Kernpunkt der Diskussionen. Abschließend wurde von vielen der Wunsch geäußert, weiter gemeinsam an dem Thema zu arbeiten und eine transregionale Arbeitsgruppe zu gründen.
Professionell und achtsam moderiert wurde der Workshop von Housamedden Darwish (Lehrbeauftragter des Instituts für Sprachen und Kulturen der islamischen Welt der Universität zu Köln), der von Jabbar Abdallah (Kurator der Ausstellung) und Stephan Milich (Universität zu Köln) unterstützt wurde.
28.08.2022
Stephan Milich
Berichte zum Runterladen