Studientag ISKIW "Nahostkonflikt"
26. April 2024, 10 - 18.00 h
Gronewaldstr. 2,
Hörsaal 123
3. OG
Programm
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10:00 – 10:15 h Begrüßung und einführende Worte/Code of Conduct.
10:15 – 11:30 h Ingrid Overbeck: „Historische Grundlinien und Erzählungen.“/Q & A.
11:30 – 12:30 h Matthias Lehmann: “Zion und Zionismus: Der Weg zu einem jüdischen Staat.”/Q & A.
12:30 – 13:30 h Pause
13:30 – 14:30 h Sabine Damir-Geilsdorf: „Zweierlei Geschichte(n)?
Narrative der Nakba und der Staatsgründung Israels.“/Q & A.
14:30 – 15:30 h Huda Zein: „Politische Ökonomie und gesellschaftliche
Fragmentierung im Gaza-Streifen.“/Q & A.
15:30 – 16:00 h Pause
16:00 – 17:00 h Katajun Amirpur: „Iran: Frontstaat des Antisemitismus?“/Q &A.
17:00 – 18:00 h Stephan Milich: „Zeitgenössische palästinensische Poesie.“/Q & A.
Verabschiedung.
Bericht zum Studientag
Der Studientag „Nahostkonflikt“, der von den Lehrenden des Instituts für Sprachen und Kulturen der islamisch geprägten Welt initiiert wurde, hat den Studierenden der Universität zu Köln einen sicheren Raum geboten, sich über die historischen und politischen Hintergründe dieses aktuellen Themas auf einem akademischen Niveau Wissen anzueignen und dessen Komplexität besser zu verstehen. Durch ihre Expertise und ihr fundiertes Fachwissen ist es den Vortragenden gelungen, im Rahmen dieser eintägigen Veranstaltung zentrale Aspekte zu beleuchten.
Ingrid Overbeck widmete sich der historischen Darstellung sowie Entwicklung des Nahostkonflikts und bot somit die notwendige Grundlage für die darauffolgenden Ausführungen. Anhand ihrer sehr detailreichen und gut verständlichen Ausführungen wurden auch weniger präsente Phasen der Geschichte beleuchtet und die komplexen transregionalen Zusammenhänge verdeutlicht.
Prof. Matthias Lehmann, Historiker und Leiter des Martin-Buber-Instituts für Judaistik, zeigte die Anfänge des jüdischen Nationalismus als Reaktion auf den anhaltenden Antisemitismus in Europa auf, dem im 18. und 19. Jahrhundert ein aufkommendes jüdisches emanzipatorisches Selbstverständnis vorangegangen war. Der Vortrag zeigte außerdem die sich wandelnden Grundhaltungen und Perspektiven herausragender Stimmen des aufkommenden Zionismus in Bezug auf das Konzept bzw. die Notwendigkeit eines jüdischen Nationalstaats auf.
Prof. Sabine Damir-Geilsdorf verdeutlichte in ihrem Vortrag, dass es sich bei diesem Konflikt vor allem um einen „Krieg der Zahlen“ und „Krieg der Narrative“ handelt und wies auf die Problematik der Tabuisierung und gar Verleugnung der Nakba – auch in Deutschland – auf. Das systematische Gegenüberstellen beiden Narrative und Sichtweisen ergänzte eine weitere zentrale Dimension des Konflikts und zeigte auf, dass Konzepte wie „empathische Verstörung“ (LaCapra) oder „multidirektionales Erinnern (Rothberg) überaus hilfreich für eine transformative Beschäftigung mit dem Nahostkonflikt sein können.
Dr. Huda Zein widmete sich anhand von Zahlen und Fakten sehr anschaulich den wirtschaftlich-politischen Gegebenheiten in den palästinensischen Gebieten sowie der gesellschaftlichen Fragmentierung und verdeutlichte die Lebensumstände in Gaza. Ihren Ausführungen schickte sie jedoch eine eindrückliche Einleitung voran, die, wie im Anschluss in der Frage-und-Antwort-Runde deutlich wurde, die Sorgen und Ängste vieler Studierenden zum Ausdruck brachte. Unter Heranziehung von Foucault verdeutlichte sie die Notwendigkeit, „kritische Arbeit entlang unserer Grenzen“ zu leisten und der „vorurteilsbehafteten Angst“ entgegenzuwirken.
Prof. Katajun Amirpur widmete sich den Juden im Iran im Laufe der Geschichte dieses Landes und der Zäsur, die die Revolution von 1979 für die politische Beziehung der beiden Länder Iran und Israel bedeutete. Sie zeigte anschaulich, wie sich das Verhältnis zwischen der jüdischen Gemeinschaft, den Kalimi, den einzelnen Regierungen und ihrer Politik, und der breiteren Öffentlichkeit immer wieder verschob und selbst unter der von antiisraelisch-antisemitischen Tiraden geprägten Regierungszeit von Ahmadinejad eine erfolgreiche TV-Serie jüdisches Leben emphatisch darstellte.
Den Abschluss machte Dr. Stephan Milich mit seinem Vortrag über zeitgenössische palästinensische Poesie, als deren wichtigster Vertreter der 2008 verstorbene Lyriker Mahmud Darwisch gilt. Nachdem zunächst ein Überblick über die Entwicklungsphasen der palästinensischen Literatur gegeben wurde, wurde anhand mehrerer Gedichte und Textpassagen aus verschiedenen Jahrzehnten die Dialektik von Exil und Heimat sowie weitere zentrale Themen in den Werken Darwischs wie u.a. kulturelle Selbstbehauptung beleuchtet. Es wurde deutlich, dass insbesondere dialogische und vielstimmige Texte ein wesentliches Mittel sein können, Empathie und Fremdverstehen zu fördern.
In den an die Vorträge anschließenden Q&A Runden wurde deutlich, dass die Vortragenden sich der aktuellen Problematik einer friedlichen und differenzierten Dialogführung bewusst sind und diesbezüglich auch persönlich in ihrer Tätigkeit als Lehrende sich mit Herausforderungen konfrontiert sehen. Mit dieser Veranstaltung haben sie aufgezeigt, dass Universität sich vor allem durch freie und verantwortungsvolle Meinungsäußerung definiert und sind dem Bedürfnis vieler Studierenden nachgekommen, in einem sicheren Raum ohne Angst vor „Labels“ Fragen zu stellen und sich zu äußern.
Ein Zustand der „traurigen“ Erleichterung entstand angesichts der Erkenntnis, mit den eigenen Gedanken und Ängsten nicht allein dazustehen. Angesichts der Atemlosigkeit, in die einen die aktuellen Ereignisse ununterbrochen versetzen, bot dieser Studientag einen Raum, um Luft zu holen und neuen Atem zu schöpfen.
Azadeh Fathi