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Beteiligung von Frauen am bewaffneten Kampf in der neueren Geschichte und Gegenwart der Türkei

Das Projekt befasst sich mit den historischen und politischen Hintergründen der Beteiligung oder des Ausschlusses von Frauen in der Türkei am bewaffneten Kampf, sei es in der Armee, Polizei oder staatlichen paramilitärischen Strukturen, oder auch in Widerstandsformationen. Die Darstellung in Literatur und Film, sowie der gesamtgesellschaftliche Diskurs und politische oder religiöse Rechtfertigungsnarrative sind ebenfalls Teil des Projekts.

Das Militär der Türkei zählte seit dem 19. Jahrhundert zu den modernen, modernisierten, Institutionen; die Militärakademien und Kader wurden zunehmend durch nationalistische und säkularistische Ideen beeinflusst. Der hegemoniale Mythos vom als Soldaten geborenen Türken, in dem „Türkentum“ und „Soldatentum“, „türkische Nation“ und „militärische Nation“ gleichsetzt werden, wurde zu einer tragenden Säule der türkischen Selbstdarstellung und ließ die Macht des Militärs über die Politik in den kommenden Jahrzehnten als natürlich und angemessen erscheinen. Im civic republicanism durchdringt der Militarismus nicht nur den explizit militärischen Bereich der Republik, sondern die gesamte Alltagspraxis. Basierend auf dieser ökonomischen und auch gesellschaftlichen Bedeutung der Armee, erscheint es vielversprechend, die Gender-Verhältnisse in der Armee, das Verhältnis von Militarismus und Geschlechterrollen und die Ausstrahlung dieses Verhältnisses in die Gesellschaft hinein zu betrachten.

Die Schaffung von Nationalstaaten geht mit der Schaffung einer Reihe von gendered images einher. Diese Bilder gehören stets einer binären Ordnung an, sind aber oft weniger eindeutig in ihren Aussagen als es in der Absicht der Anwendenden liegt. So sehen sich Nationalarmeen als Institutionen hegemonialer Männlichkeit und Orte der Reproduktion derselben (auch wenn sie diesen Umstand anders benennen würden). Wie binär aber kann eine Institution sein, in der das Andere – die Frauen – gänzlich abwesend sind? „(Turkish) military masculinity is essentially fragile and shattered due to the lack of distinct boundaries between male homosociality and homosexuality. Umso wichtiger ist es, keinen Zweifel am männlichen Charakter der Armee zuzulassen und die männliche Gemeinschaft nicht durch die Anwesenheit von Frauen in Frage zu stellen. Die Ordnung wird jedoch, in der Türkei und anderswo, gestört durch die materiellen Notwendigkeiten des Krieges und dem Streben nach Modernisierung aller gesellschaftlichen Bereiche. Im Osmanischen Reich machte der Erste Weltkrieg die Beteiligung von Frauen in allen kriegsrelevanten Produktionssektoren notwendig; der anschließende Befreiungskrieg brachte die –heroisierten- Nachschub-Frauenbataillone hervor, und beide Kriege etablierten Frauen als öffentliche, politische Personen. Die Beteiligung von Frauen an organisierten Kampfhandlungen war allerdings die Ausnahme, auch wenn zeitgenössische und spätere Veröffentlichungen diese wenigen Frauen als beispielhaft feierten. Als 1927 die allgemeine Wehrpflicht der türkischen Männer gesetzlich neu formuliert wurde, einhergehend mit einem vollständigen Ausschluss von Frauen aus dem gesamten Apparat, wurde das Missverhältnis zwischen den Aufforderungen und Versprechungen des Modernisierungsdiskurses und dem konkreten Ausschluss der Frauen aus diesem so außerordentlich wichtigen Bereich offensichtlich.

Die Beteiligung von Frauen am bewaffneten Kampf wird stets entschieden kritischer und emotionaler diskutiert als die von Männern, ganz gleich ob es dabei um Berufssoldaten, die allgemeine Wehrpflicht oder den Kampf in Widerstandsarmeen geht. Neben den konservativen Argumenten, die sich aus einem zweigeschlechtlichen Gesellschaftsbild speisen und auf die Schutzbedürftigkeit der Frauen, ihr von Natur aus größeres Mitleid sowie deren Verantwortung in der Care-Arbeit verweisen, gibt es die Perspektive der (feministischen) Friedensbewegung, die den bewaffneten Kampf und damit auch die Einbeziehung von Frauen grundsätzlich ablehnt. Beide Perspektiven werden auch von türkischen Autorinnen vertreten.

Ein Militarismus, der alle Bereiche der Gesellschaft durchdringt, durch die Politik verstärkt wird und keine anderen Verhaltensweisen als autoritär-aggressive zulässt einerseits, und die in den letzten Jahren geradezu explodierende Alltagsgewalt, gerade auch gegen Frauen, andererseits, stehen in direktem Zusammenhang. Das positive Ansehen einer als männlich gedachten Gewaltförmigkeit von privatem und öffentlichem Handeln äußert sich u.a. in gesellschaftlich legitimierter Gewalt gegen Frauen äußert. In den letzten Jahren ist dieser Zusammenhang durch das Hinzutreten des religiösen Militarismus verstärkt worden, der ein patriarchales Familien- und Gesellschaftsverständnis mit innenpolitischem Autoritarismus und bewaffneter Außenpolitik verbindet. Das medial verstärkte Bild der muslimisch-türkischen Soldatin steht dabei nicht im Widerspruch zur erneuten „Familialisierung“ von Frauen, sondern verweist u.a. auf einen von vielen konzeptuellen Widersprüchen in der Gender-Geschichte der Türkei. Auf die positive Darstellung der YPG-Kämpferinnen (Yekîneyên Parastina Gel, Volksverteidigungseinheiten) in den internationalen Medien hat die Türkei mit Gegenbildern reagiert. Betont wird insbesondere das ehrbare Verhalten der türkischen Soldatinnen, die sowohl der Nation als auch ihren Familien „als Mütter, Schwestern und Frauen“ keine Schande bereiten.

 

Gefördert durch die Hans-Böckler-Stiftung, beschäftigt sich die Nachwuchsforschungsgruppe NFG 024 mit „Rechtfertigungsdiskursen in der neueren Geschichte und Gegenwart der Türkei über die Beteiligung von Frauen am bewaffneten Kampf“

https://nfg024.uni-koeln.de/